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Es ist selten, dass gestandene Männer zu Tränen gerührt sind. Doch die mitreißende Gedenkfeier für die Opfer von Krieg und Gewalt im Kleinen Haus des Oldenburgischen Staatstheaters ließ wohl keinen der rund 300 Zuschauer kalt. Zu einer besonderen Lesung anlässlich des Volkstrauertags hatten die Evangelisch-Lutherische Kirche in Oldenburg, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und das Staatstheater gemeinsam eingeladen. Musikalisch umrahmte das Skiron-Quartett des Oldenburgischen Staatstheaters die Feierlichkeiten.

Es war die Liebesgeschichte einer Großtante von Bischof Jan Janssen, die den persönlichen Schicksalen unzähliger Menschen in den Kriegsjahren nun auf der Bühne ein Gesicht gab. Knapp anderthalb Jahre lang schrieben sich Rosemarie Hagemann und ihr Verlobter, der junge Pastor Jochen Eisenberg, regelmäßig Briefe, mehr als 700 insgesamt. Eindrucksvoll und lebendig lasen die Schauspieler Kristina Gorjanowa und Rüdiger Hauffe aus der Korrespondenz, die stellvertretend für viele andere stand – eine große Liebe, die durch den Krieg erbarmungslos vernichtet wurde.

Die langsame Annäherung des Paares, das sich nur selten sehen kann und sich doch durch die innigen Briefe immer näherkommt, und der feste Glaube an Gott trotz aller Kriegsgräuel werden in jeder Zeile deutlich. Am 10. Juli 1941, wenige Wochen vor dem Tod des geliebten Mannes, schreibt Rosemarie Hagemann:

Du schreibst heute, daß es oft so schwer sei, Gottes Führungen zu verstehen, und daß das große „Warum“ doch stehen bleibt. Wer kennt das nicht, das Fragen nach diesem „Warum“. Wir werden Gottes Gedanken nie ergründen, vielleicht darf uns manchmal später deutlich werden, warum es so und so alles kommen mußte. Als ich Deinen Brief las und darüber nachdachte und daran dachte, wie oft ich auch so frage und den Sinn alles Geschehens nicht verstehe, mußte ich sehr an unser Lied denken: „Weiß ich den Weg auch nicht, Du weißt ihn wohl! Das macht die Seele still und friedvoll.“ Das ist die einzige Antwort wohl auf all unser Fragen. „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken“. Aber Gott hat Gedanken des Friedens mit uns. Wie schwer können wir das oft glauben, aber wir dürfen's ganz fest glauben und uns grade jetzt daran halten!

Es ist der letzte Brief von ihr, der Jochen Eisenberg noch erreicht.

Auch nach dem schweren Schicksalsschlag hat die junge Frau an ihrem Glauben an Gott festgehalten und sich dem Leben in der christlichen Tradition verschrieben: 1949 trat sie ins Diakonissen-Mutterhaus Sarepta in Bethel ein, fünf Jahre später wurde sie Oberin in Rotenburg/Wümme. Der Verlust des Verlobten aber blieb lebensprägend, und ihre anhaltende Trauer war ein Grund für ihre Einsegnung als Diakonisse. Noch in hohem Alter wollte sie nach Russland zum Grab von Joachim Eisenberg reisen, musste jedoch wegen eines Sturzes kurzfristig auf diese Reise verzichten. Ihre Geschichte steht stellvertretend für Trauer und Verlust vieler, die durch Krieg und Gewalt geliebte Menschen verloren haben.

Eindrücklich schilderte Bischof Janssen, wie er die Briefe der Großtante nach deren Tod gelesen hat, das grobe Feldpost-Papier unter seinen Finger fühlte, das Hakenkreuz auf jedem Poststempel sah. Im Laufe des Krieges wird der Briefkontakt unregelmäßiger, statt zum Füller greifen die Liebenden aus der Not heraus nun zum Bleistift. Als „Zeitzeugnisse von eigener Hand“ bezeichnete Janssen die berührende Korrespondenz. „Mit solchen Zeugnissen kommt zu den kalten Daten, Zahlen, Informationen der Geschichte die Wärme der Nähe von Menschen.“

Trotz des Friedens in Europa mahnte der Oldenburger Bischof in seinem Schlusswort an, auch über den Kontinent hinaus zu schauen: „Wir sehen voller Hoffnung: Menschen – zumindest in Mitteleuropa – haben gelernt, über Grenzen und Gräben und Grausamkeiten hinweg zusammenzuleben und ein Miteinander zu gestalten, das der nationalen, kulturellen und religiösen Vielfalt Raum gibt“, betonte er. Andernorts allerdings gebe es durchaus noch Kriege.

„Nur darf unser Horizont nicht enden an den scheinbar weiter weg gerückten Grenzen, wo wir die Konflikte klein reden wo wir die Kriege, die da vonstatten gehen, nicht erkennen wollen. Darum Respekt vor allen, die sich diesen Krisen aussetzen, die freiwillig Friedensarbeit und Hilfsdienste leisten, die zur Deeskalation beitragen. Respekt und Ermutigung für alle, die nach Kräften gegen alles leere Warum? klar bekennen, reden und handeln“, so Janssen.

Dass Rosemarie Eisenberg, geb. Hagemann, diese Briefe 60 Jahre später an eine nächste Generation weitergegeben habe, habe eine neue Tür zum Leben geöffnet, „eine Tür zu einem Leben, das den Frieden lernt“, so Janssen.

Ein Beitrag von Anke Brockmeyer.


Gedenkfeier für die Opfer von Krieg und Gewalt im Kleinen Haus des Oldenburgischen Staatstheaters am Volkstrauertag. Fotos: Foto-Presse-Agentur von Reeken/Tobias Frick