Bremen (epd). Der Hamburger Medizinethiker und Psychologe Michael Wunder hat dazu aufgerufen, vor dem Hintergrund der Geschichte der NS-Euthanasie besonders wachsam mit Begriffen wie aktiver und passiver Sterbehilfe umzugehen. "Die Begriffe verschwimmen", warnte der Leiter des Beratungszentrums der Evangelischen Stiftung Alsterdorf am Mittwochabend in einer zentralen Gedenkveranstaltung des Bremer Senats zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. "Immer mehr Zustände des Lebens werden mit unerträglichem Leiden gleichgesetzt." Wunder ist seit 2008 Mitglied des Deutschen Ethikrates.
Wunder ergänzte laut Redemanuskript, immer häufiger würden diese Leiden gleichgesetzt mit einem Leben, das "abkürzungswürdig" sei mit den Mitteln einer tötenden Medizin. Das treffe vor allem dann zu, wenn der etwa in einer Patientenverfügung formulierte persönliche Wille durch einen mutmaßlichen Willen ersetzt werde bei Menschen, die sich nicht äußern könnten - etwa bei behinderten oder schwer kranken Erwachsenen und Kindern. Die Medizin müsse vor einer Entwicklung bewahrt werden, die das Euthanasieren wie zu NS-Zeiten "wieder als Bestandteil medizinischen Handelns ausweist".
Um den Ruf nach aktiver Sterbehilfe ein für alle Mal zu stoppen, gingen strategische Überlegungen in den Debatten dahin, die passive Sterbehilfe weiter zu öffnen und zu erweitern. Aber das funktioniere nicht: "Wir werden in Zukunft auch bei einer bescheidenen heilenden Medizin, die nicht mehr alles macht, was gemacht werden kann, und einer überall erreichbaren Palliativmedizin einen Anteil von etwa fünf bis acht Prozent Menschen haben, die Suizidbeihilfe und auch aktive Sterbehilfe für sich fordern."
In Bremen erinnert ein Mahnmal auf dem Gelände des Klinikums Ost an das Schicksal von Menschen mit körperlichen und psychischen Einschränkungen, die in der NS-Zeit getötet oder zwangssterilisiert wurden. Die Nationalsozialisten deportierten aus der Hansestadt fast 1.000 Patienten in auswärtige Anstalten, von denen Wunder zufolge mehr als 70 Prozent starben. Am Anfang der Tötungen habe eine "feine Verschiebung" in der Grundeinstellung der Ärzte gestanden: "Es begann mit der Akzeptanz, dass es bestimmte Leben gibt, die nicht wert sind gelebt zu werden."