Eine Kindheit im Pfarrhaus in der DDR und der BRD, auf dem Lande, in der Großstadt, in verschiedenen Jahrzehnten was macht sie aus, was unterscheidet sie? Im Erzählcafé Aufwachsen im Pfarrhaus erinnerten sich am vergangenen Sonntag im Cine k in der Kulturetage die Landeskirchenmusikdirektorin Beate Besser von der oldenburgischen Kirche, die SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Ute Finckh-Krämer, der Tontechniker an der Deutschen Oper Berlin, Jonas Diestelmeier, und der jüngste Synodale der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg, Jasper Frerichs aus Delmenhorst, an ihre Kindheit im Pfarrhaus. Im Rahmen der Ausstellung Leben nach Luther. Eine Kulturgeschichte des ev. Pfarrhauses hatte die Ev. Akadamie Oldenburg zu dieser Matinee eingeladen, die Moderation übernahm Pfarrer Thomas Adomeit.
Eine Kindheit im Pfarrhaus in der DDR war geprägt von Ambivalenz, erinnerte sich Beate Besser an das Aufwachsen im ostdeutschen Merseburg. Wir hatten viel Freiheit, haben politische Diskussionen erlebt, andererseits aber auch immer die Sonderrolle der Kirche im Sozialismus wahrgenommen. Jedes vertrauliche Gespräch sei immer auch von dem Gedanken begleitet worden: Wer hört mit?
Als ein magisches Dreieck von Kirche, Friedensbewegung und SPD, so Ute Finckh-Krämer, habe sie ihre Jugend erlebt. Das war weit über die Kindheit hinaus prägend. Schon ihr Vater war in der Friedensbewegung aktiv, auch für die Tochter wurde dieses Engagement selbstverständlich.Auf dem Lande in den 60er Jahren sei die Pfarrerstochter automatisch die Freundin der Lehrerstochter gewesen, erzählte Ute Finckh-Krämer. Der Alltag aller anderen Familien überwiegend Weinbauern war völlig anders als unserer. Erst in Hamburg sei sie mit der Frage konfrontiert worden, was Jungen dürfen und was Mädchen. Auf dem Dorf ging es eher darum, was Pfarrerskinder dürfen und was die anderen.Eine Einschränkung, die sie im Rückblick so betrachtet: Mir war bewusst, dass ich einiges nicht machenkonnte, wenn ich den Ruf meines Vaters nicht beschädigen wollte. Das schränkt zwar ein, aber es verbindet auch. Diese Rücksicht ist letztendlich ein Zeichen von Liebe.
An sein Elternhaus erinnert sich Jonas Diestelmeier als ein sehr lebendiges Zuhause. Das gemeinsame Mittagessen war bei uns ein Fixpunkt. Erst heute wird mir bewusst, wie toll das war. In meinem eigenen Arbeitsalltag ist es nicht möglich, mittags in der Familie, gemeinsam mit den Kindernzu essen ich vermisse das. Man lerne die Bandbreite des Lebens kennen, zog er Bilanz. Bei uns standen auch Drogenabhängige vor der Tür, Wehrdienstverweigerer, die Ratsuchten.
Im Pfarrhaus war immer was los, aber wir waren auch immer im Blick, so Jasper Frerichs. Die Freunde seien immer gern gekommen, weil im und rund um das Pfarrhaus viel Platz zum Spielen gewesen sei. Aber wir waren natürlich unter den Augen des Küsters und der Kirchenältesten. Dennoch habe er stetsseinen eigenen Weg gehen können. Das rechne ich meinen Eltern hoch an.
Ein offenes Haus, in dem viel diskutiert und miteinander geredet wurde so klang die Pfarrhaus-Atmosphäre bei den Gästen auf dem Podium an. In früheren Generationen allerdings war das Pfarrhaus oftmals auch ein Ort der Strenge, der besonderen Härte gerade den eigenen Kindern gegenüber. Das wurde bei Erzählungen aus dem Publikum deutlich. Sie habe das Pfarrhaus in den 50er Jahren als sehr beengend wahrgenommen, erinnerte sich eine Zuhörerin. Damals war der Pfarrer gerade in kleinen Orten eine Moralinstanz. Offenheit und Diskussionsfreude habe ich so nie erlebt. Damit schlug sie den Bogen zum zweiten Teil der Matinee: Im Anschluss an das Erzählcafé zeigte das Cine k den Film Das weiße Band über die Kindheit im Pfarrhaus Anfang des 20. Jahrhunderts.
Die Ausstellung Leben nach Luther. Eine Kulturgeschichte des ev. Pfarrhauses ist noch bis zum 21. November in der Landesbibliothek Oldenburg zu sehen. Ein Symposium zum Thema Leben im Pfarrhaus Ein Kulturort im Wandel bieten die evangelischen Kirchen Oldenburg und Bremen am 20. und 21. November im Domkapitelhaus Bremen an. Hier sind noch Restplätze verfügbar.
Mehr Informationen unter www.akademie-oldenburg.de
Anke Brockmeyer