Es geschah im Jahr 1548: 21 Pastoren aus dem gesamten Jeverland schrieben persönliche Berichte über ihren Glauben und ihre Haltung zur Religionspolitik der Zeit. Seit Kurzem sind die Berichte, die teils auf Latein, teils auf Niederdeutsch und Niederländisch vorlagen, in deutscher Sprache ganz einfach zugänglich: Oberkirchenrat i. R. Prof. Dr. Rolf Schäfer hat die Texte in seinem Buch Die Jeverschen Pastorenbekenntnisse 1548 anlässlich des Augsburger Interim (Verlag Mohr Siebeck, Dezember 2012) herausgegeben. Dazu hat er die 21 Berichte editiert, ihre Entstehung erklärt und die Schriften in einen historischen Kontext gestellt.
Diese Auswertung ist ein Meilenstein in ihrer Art, sagt Pfarrerin Brigitte Gläser, Leiterin der Akademie der oldenburgischen Kirche, bei der Buchvorstellung im Gemeindesaal der Ev.-luth. Kirche Bloherfelde am Montag, 22. April, in Oldenburg. Zum anschließenden Gespräch mit Prof. Schäfer ist die Theologin Prof. Andrea Strübind vom Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zu Gast. Das Besondere an diesem Buch ist der anschauliche Eindruck, den die Leser davon bekommen, wie die Reformation in der Pfarrerschaft aufgenommen wurde, erklärt Strübind. Ich habe hohe Achtung vor der Leistung von Herrn Schäfer, dies deutlich gemacht zu haben. Wie ist die Reformation auf dem Lande angenommen und umgesetzt worden? Wie ging der Prozess vor sich, und was waren es für Persönlichkeiten, die daran beteiligt waren? Das Buch gibt Antworten auf diese Fragen.
Ich habe zu Beginn meiner Arbeit an den Texten nach Vergleichsliteratur gesucht, erzählt Rolf Schäfer über die Entstehung seines Werkes. Es gibt jedoch in Deutschland keine ähnliche Sammlung von Berichten, die von Pastoren und Vikaren auf dem Land verfasst wurde. Er betont, dass es sich bei seinem Buch nicht um einen neuen Quellenfund handele. Die Sammlung der Berichte stand schon lange in der Bibliothek des Mariengymnasiums in Jever. Die Texte wurden 1548 von Jevers Regentin, Fräulein Maria, bei den Pastoren angefordert, so Schäfer. Der Vikar Hermann Herones aus Hohenkirchen hat die einzelnen Texte damals gesammelt und niedergeschrieben, diese Sammlung ist über die Jahre erhalten geblieben. Herones hat sich wohl gewünscht, dass sein Bericht gedruckt wurde, aber das ist zu jener Zeit nicht geschehen.
Prof. Schäfer hat sich eingehend mit der damaligen Zeit und den Verfassern der Berichte beschäftigt: Es waren Pastoren und Vikare, die teilweise im Jeverland aufgewachsen waren, aber teils wohl auch aus Holland oder Belgien kamen, von denen einige studiert hatten, andere wiederum nicht. Ein studierter Mann unter den Geistlichen war zum Beispiel Gerhardus Wandscher, Pfarrer in Jever, der Fräulein Maria und ihre Abgesandten auch auf diplomatischen Missionen begleitete, weiß Schäfer. Beim Bericht von Jakobus Drentwede, Pfarrer in Schortens, sei dagegen deutlich geworden, dass dieser kein Latein schreiben konnte und wohl nur selten zur Feder gegriffen habe.
Damals studierte nur, wer die Aussicht hatte, in den höheren Klerus aufzusteigen, erklärt Schäfer und zeichnet ein Bild vom Alltag im 16. Jahrhundert: Viele erlernten den Beruf des Pfarrers bei einem Lehrherren. Für das Amt begabte Jungen wurden bei einem Pfarrer ins Haus gegeben, sie begleiteten und unterstützten ihn bei seinen täglichen Pflichten, sie waren Ministranten und besuchten die Lateinschule. Mit Mitte 20 folgte die Priesterweihe und dann die Hoffnung auf ein Vikariat. Vikare waren zu jener Zeit nur für das Lesen der Messen zuständig, sie hielten weder Predigten noch kümmerten sie sich um das Seelenheil der Gemeinde, erläutert der Oberkirchenrat i. R.
Im Jahr 1548, aus dem die Berichte der Pastoren stammen, war Martin Luther seit zwei Jahren tot. Kaiser Karl V. wollte die Spaltung seines Reiches in zwei Religionen nicht mehr hinnehmen er wollte den Protestantismus ausmerzen. Das sogenannte Augsburger Interim sollte als Reichsgesetz bis zur erwarteten Wiederherstellung der Religionseinheit die kirchlichen Verhältnisse regeln. Dazu schickte Karl V. es zu den Landesregenten im gesamten Reich auch an Fräulein Maria von Jever. Diese bat daraufhin ihre Pastoren und Vikare um Berichte zu ihrem Glauben und zu ihrer Meinung. Das Ergebnis: Die Befragten lehnten das Interim einhellig ab. Dies war nicht nur in Jever, sondern vielerorts im ganzen Reich der Fall, sowohl unter Protestanten als auch unter Katholiken. Als direkte Lehnsnehmerin bei Karl V. sah sich Fräulein Maria wohl ihm gegenüber stärker unter Druck als andere Regenten, doch wurde das Interim bereits vier Jahre später wieder abgeschafft.
Prof. Schäfers Buch helfe, die Bedeutung des Widerstands der Pastoren im Jeverland gegen das Interim sowie auch die Entwicklung der Reformation einzuschätzen, urteilt die Theologin Andrea Strübind. Das ist gerade jetzt besonders interessant, weil wir uns mit dem Jahr 2017 dem nächsten großen Jubiläum der Reformation nähern. Die jeweiligen Feierlichkeiten zu diesem Anlass wurden in der Vergangenheit oft kirchenpolitisch instrumentalisiert; Luther wurde vielfach als deutscher Nationalheld dargestellt. Es fragt sich, ob es 2017 eine Chance für die Ökumene gibt, ob man der Vielfalt der Reformation gerecht wird und ob auch der weltweite Protestantismus gewürdigt wird, so Strübind.
Was die Reformation für das Jeverland im 16. Jahrhundert bedeutete, werde nicht nur in den Inhalten der sehr persönlichen Pastorenberichte klar, so Andrea Strübind. Dass die beteiligten Geistlichen unter anderem aus Belgien und den Niederlanden stammten und das Jeverland zu jener Zeit allgemein ein Zufluchtsort für viele religiöse Flüchtlinge war, die ihre Fähigkeiten in die neue Heimat mitbrachten, unterstreiche noch einmal die Dynamik der Reformation, bekräftigte die Professorin bei der sich an die Buchvorstellung anschließenden Diskussion.
Ein Beitrag von Antje Wilken.
Hier finden Sie weitere Informationen zur Buchvorstellung im Schloss zu Jever bei Erscheinen von Rolf Schäfers Werk im Dezember 2012.