„Die Bilder vom Erdbeben in Indonesien vor wenigen Tagen hat wohl jeder gesehen: Da wurde ein ganzes Dorf mit einem Schlag verschlungen. So geht es manchmal auch Menschen – plötzlich brechen alle Verbindungen ab, alles rutscht unter einem weg. In solchen persönlichen Katastrophen braucht man dringend jemand zum Reden“, sagt Christhild Roberz, Leiterin der Telefonseelsorge in Wilhelmshaven. Die Wilhelmshavener Einrichtung feiert in diesen Tagen das 30-jährige Bestehen.
Bundesweit wurde die Telefonseelsorge jedoch schon kurz nach dem zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen. Damals gab es eine sehr hohe Zahl von Selbsttötungen und man wollte Menschen in ausweglosen erscheinenden Situationen einen Gesprächspartner anbieten. Vieles hat sich heute verändert, eines allerdings nicht: „Suizid bleibt eine der großen Herausforderungen“, sagt Roberz. Gleichwohl sei Suizid immer noch ein riesiges Tabu. Diesen Schleier ein wenig zu lüften, das ist auch das Ziel etlicher Veranstaltungen rund um den Geburtstag der Einrichtung.
Die Zahl der Suizide sei unvermindert hoch, jährlich gebe es mehr Tote durch Selbstmord als im Straßenverkehr, so Roberz. Auf jeden Suizid kämen zudem mindestens 25 Selbstmordversuche und ein Vielfaches an Menschen, die darüber nachdächten, sich zu töten. Und die Telefonseelsorge biete nicht nur ein offenes Ohr für alle, die sich mit dem Gedanken beschäftigen, sich das Leben zu nehmen. Durchschnittlich erlebten 135 Menschen starkes Leid durch einen Selbstmord. Auch diesen Menschen könne ein Gespräch sehr helfen.
Menschen zum Reden bringen und ihnen mit großer Empathie zuhören, das ist es, worum es geht. „Wer formulieren muss, wer lernt, seine Gefühle in Worte zu fassen, der lernt, neue Strukturen zu finden – und daraus ergibt sich oft ein neuer Weg aus den vermeintlich ausweglosen Problemen“, sagt Roberz. Dabei geht es natürlich nicht nur um Gedanken rund um Suizid, auch wenn sich immer mehr Menschen mit solchen Gedanken beschäftigten. „Aber die Anrufe, bei denen jemand nur mal eine kurze Frage hat, sind deutlich weniger geworden, die Dauer der Gespräche ist zunehmend, die Probleme werden schwerwiegender“, so die Leiterin der Telefonseelsorge.
Die Telefonseelsorge in Friesland-Wilhelmshaven nimmt pro Jahr rund 4.000 Anrufe entgegen. 32 ehrenamtliche Mitarbeiter, die eine umfangreiche Fortbildung absolviert haben, bevor sie eingesetzt werden, sind hier tätig. Und dennoch müssen Hilfesuchende oft mehrfach wählen, bevor jemand ans Telefon geht – „die Kapazitäten reichen leider nicht aus – vor allem in der dunklen Jahreszeit“, sagt Roberz. In diesem langen und schönen Sommer sei es aber erstmals seit vielen Jahren vorgekommen, dass sich doch hier und da einige Minuten Wartezeit nach dem Auflegen und bis zum nächsten Klingeln ergeben hätten. „Der Sonnenstand macht sich deutlich bemerkbar“, haben die Mitarbeiter der Telefonseelsorge erlebt. Im Kirchenkreis Friesland-Wilhelmshaven sind es neben Suizidgedanken vor allem das körperliche Befinden und die Einsamkeit, die an erster Stelle der Themen stehen, es folgen familiäre Beziehungen, depressive Verstimmungen und Depressionen, Ängste und Stress / Ärger im Alltag.
Die Telefonseelsorge arbeitet komplett anonym, weder Anrufer noch die Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung werden mit Namen genannt, nicht einmnal der Ort, an dem die Telefone stehen, ist bekannt. Die Einrichtung wird vom Kirchenkreis Friesland-Wilhelmshaven getragen, sie versteht sich ökumenisch. Anrufen können aber auch Menschen, die „mit Kirche nichts am Hut haben“. Zu erreichen ist die Einrichtung rund um die Uhr unter den Nummern 0800 / 111 0 111 oder 0800 / 111 0 222.
Zum 30-jährigen Bestehen wird am Sonnabend, 20. Oktober, um 14.30 Uhr in der Banter Kirche, Werftstraße in Wilhelmshaven ein Festgottesdienst gefeiert. Erwartet werden hier unter anderem auch Oberkirchenrätin Annette Christine Lenk, der Pantomime René Schack sowie Kreiskantor Klaus Wedel (Orgel) und Frauke Harland (Saxophon). Im Anschluss an den Gottesdienst findet ein Empfang statt.
Annette Kellin