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Mehr als 20 Jahre Forschungsarbeit stecken in der Wanderausstellung „Orgeln an der Nordsee – Kultur der Marschen“, die noch bis Freitag, 15. Januar, im Vestibül der St. Lamberti Kirche zu sehen ist. „Vor zehn Jahren entstand die Idee zu dieser Ausstellung“, verrät Konrad Küster, Professor für Musikgeschichte an der Universität Freiburg, der die multimediale Schau im Auftrag der Nordkirche und in Kooperation mit der Landeskirche Hannovers und der oldenburgischen Kirche entwickelt hat. Geschichtliche Informationen, Filme und Hörbeispiele mit Orgelmusik bieten einen spannend und interessant aufbereiteten Überblick. Was hatten zum Beispiel vor ein paar Hundert Jahren Pastoren als Musiker mit der Rolle der Orgel zu tun – oder musizierende Landwirte? Wie veränderte sich über die Zeit der Einsatz der Orgel im Gottesdienst? Aus welchem Material wurden die Marschen-Orgeln gebaut, um der salzigen Luft an der Nordsee zu trotzen – und wo kam dieses Material her? Diese und viele weitere Fragen werden in der Wanderausstellung geklärt. In einem einführenden Vortrag vertiefte Konrad Küster am Montag, 12. Januar, insbesondere die Geschichte der Orgeltraditionen im Oldenburger Land.

Eine ganze Orgellandschaft erkundet
„Kreuz und quer durch die Marschen, rechts und links vom Jadebusen, durch Holland, Deutschland und Dänemark“ sei er unterwegs gewesen, um die Orgeln in den Dorfkirchen – und die zugehörigen Geschichten – zu entdecken, so Konrad Küster. Der Professor lehrt zwar in Freiburg, stammt aber aus Schleswig: „Mich hat schon immer interessiert, wie die Orgelkultur auf dem Land abseits der großen Städte wie Hamburg oder Lübeck aussah.“ Dazu hat er sich auch in kleinsten Dorfkirchen auf die Suche nach Material gemacht, um die Geschichte der „Orgeln an der Nordsee“ zu erhellen, um zahllose Orgeln zu fotografieren und schließlich die umfassende Wanderausstellung über die älteste Orgellandschaft der Welt zusammenzustellen.

Seit dem Spätmittelalter (16. Jhdt.) kamen die Marschbewohner an der Nordseeküste durch Landwirtschaft und Handel mit den aufstrebenden Städten Nord- und Mitteleuropas zu Wohlstand. Neben dem Küstenschutz erbrachten die Menschen eine zweite große Kulturleistung: Sie statteten ihre Dorfkirchen mit hochklassigen Orgeln aus.

„Wir haben hier einen großen Schatz in und um Norddeutschland, das ist vielen Menschen gar nicht klar“, so Pfarrer Andreas Zuch, Referent beim Oberkirchenrat, der die Vortragsgäste im fast bis auf den letzten Platz gefüllten Lambertus-Saal der St. Lamberti Kirche begrüßte. „Es ist eine einzigartige Orgellandschaft, die von Holland über Norddeutschland bis nach Schleswig-Holstein und Dänemark reicht. Es gibt sogar schon Bemühungen, sie zum Weltkulturerbe erklären zu lassen. Viele dieser Schätze liegen auch auf dem Boden unserer Oldenburgischen Kirche. Es ist unsere Aufgabe, die Musikinstrumente zu spielen und zu pflegen – auch in der kleinsten Kirche“, erklärte Zuch. „Musik ist Verkündigung, sie füllt unsere Kirchen zur Freude der Menschen und zur Anbetung Gottes.“

Eine Schau auch für die kleinste Kirche
„Die Wanderausstellung, die jetzt in der St. Lamberti Kirche zu sehen ist, wurde eigens so konzipiert, dass sie auch in die kleinste Dorfkirche passt“, sagte Konrad Küster zu Beginn seines Vortrags. „So können Einheimische und Touristen erfahren, was es überhaupt für ein Ort ist, der sie da umgibt.“ Zum Beispiel in Rysum, einem kleinen Warftendorf in der Krummhörn, rund zehn Kilometer von Emden entfernt – Küster fand Belege, die das Jahr 1442 betreffen. „Damals baten die Gemeindeoberen in Rysum um Absicherung der Passage über die Emsmündung, damit sie einige Stück Vieh, mit dem sie in Groningen die Kosten ihrer Orgel begleichen wollten, gefahrlos über das Wasser bringen konnten – und das trotz eines lokalen Kleinkrieges. Schon etwas früher, 1437, war in Marienhafe, unter dem Störtebecker-Turm, eine Orgel erbaut worden.“ Es sei jedoch selten, Belege aus jener Zeit zu finden, betonte der Ausstellungsmacher: „In den alten Kirchen und Gemeinden historische Akten zu sichten, ist oft wie das Öffnen einer Wundertüte – man weiß nie, was einen erwartet.“ 

Das konkrete Datum für Rysum habe sich aus einer chronikalischen Mitteilung ergeben. Das Datum für Marienhafe entstammte aus der chronikalischen Mitteilung über eine Bauinschrift. „Beides ist eher Zufall“, erklärte der Experte. „Standardquellen wie Rechnungsbücher, Bauverträge und dergleichen gab es möglicherweise nie.“ Auch wegen ihrer wirtschaftlichen Hintergründe sei die Mitteilung aus Rysum heute ungemein wertvoll: „Man weiß, dass die Dörfler ihre Orgel mit ein paar Ochsen bezahlten“, so Küster. Damals taten sich also Bauern und dörfliche Kaufleute zusammen, um sich ihre „Orgel-Träume“ zu erfüllen – wohl angeregt von Besuchen in den großen Metropolen. Gemeinsam finanzierten sie die Instrumente für ihren Ort, obwohl spezielle Baumaterialien wie etwa Zinn aus Cornwall über Hunderte von Kilometern herangeschafft werden mussten. Ein Großteil der ältesten und berühmtesten Orgeln befindet sich übrigens in Kirchengebäuden, die zur Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg gehören.

In seinem lebendigen und humorvollen Vortrag ging der Musikwissenschaftler unter anderem auch auf die Folgen von verheerenden Sturmfluten und den Einfluss von Graf Anton Günther auf die Entwicklung der Orgellandschaft ein, auf die sich verändernde Rolle der Orgel im Gottesdienst und die Verbreitung des Instruments vor und während der Reformationszeit. „Je weiter sich der lutherische Geist festigte, desto mehr Bedeutung hatte gerade die Musik“, so Küster.
Nach Stationen unter anderem in Dänemark und Schleswig-Holstein ist die Wanderausstellung „Orgeln an der Nordsee – Kultur der Marschen“ noch bis Freitag, 17. Januar, im Vestibül der St. Lamberti Kirche in Oldenburg zu sehen. Vom 18. Januar bis 17. Februar wird die Schau in der Stadtkirche Delmenhorst und vom 18. Februar bis 15. März in der Sitxtus- und Sinnicius-Kirche in Hohenkirchen, Wangerland, gezeigt. In allen drei Kirchen ist die Ausstellung täglich von 11 bis18 Uhr geöffnet. Zum Abschluss der Oldenburger Ausstellung spielt und erläutert Kantor Tobias Götting am Samstag, 17. Januar, ab 17 Uhr in der St. Lamberti Kirche Orgelwerke der norddeutschen Orgelmeister Buxtehude, Lübeck und Bruhns.

Die Ausstellung findet im Zusammenhang des Verbundprojekts „Luthers Norden“ statt, in dem sich die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland gemeinsam mit Partnern aus Kultur und Gesellschaft auf das Reformationsjubiläum 2017 vorbereitet. Weitere Informationen finden sich unter: www.reformationimnorden.de/veranstaltungen/wanderausstellung.html
Antje Wilken

Konrad Küster, Professor für Musikgeschichte an der Universität Freiburg, hat die multimediale Schau rund um die älteste Orgellandschaft der Welt im Auftrag der Nordkirche und in Kooperation mit der Landeskirche Hannovers und der oldenburgischen Kirche entwickelt. Am Montag, 12. Januar, hielt er einen Eröffnungsvortrag zur Ausstellung.
Konrad Küster, Professor für Musikgeschichte an der Universität Freiburg, hat die multimediale Schau rund um die älteste Orgellandschaft der Welt im Auftrag der Nordkirche und in Kooperation mit der Landeskirche Hannovers und der oldenburgischen Kirche entwickelt. Am Montag, 12. Januar, hielt er einen Eröffnungsvortrag zur Ausstellung.
Mittels zahlreicher Ton-, Film- und Musikbeispiele können die Besucher der Ausstellung tief in die Geschichte der Orgellandschaft an der Nordseeküste eintauchen.
Die Wanderausstellung „Orgeln an der Nordsee – Kultur der Marschen“ zeigt die Schätze der einzigartigen und ältesten Orgellandschaft der Welt und erklärt ihre Entstehung an der Nordseeküste.
Fotos: ELKiO/Antje Wilken