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Am 11. September 1989 wurde ein Aufruf des Neuen Forums mit der Überschrift „Aufbruch ’89“ verfasst. Ende September hatten bereits mehr als 10.000 DDR-Bürger unterschrieben, Mitte Oktober schon weit über 100.000. So rasant verlief vieles in der DDR des Jahres 1989. Heiko Lietz, Theologe aus Mecklenburg, Menschenrechtler und einer der treibenden Kräfte für menschenfreundliche Veränderungen, referierte im voll besetzten Saal der Kirchengemeinde Apen über Ereignisse, die vor 25 Jahren Deutschland und Europa veränderten. Vor allem Menschen unter 30 seien die Träger dieser friedlichen Revolution gewesen.

Eingeladen zu diesem Blick hinter die Kulissen des Weltereignisses hatten der Ev.-luth. Kirchenkreis Ammerland und das Evangelische Bildungswerk Ammerland. Gastgeberin für die siebte Veranstaltung in der Reihe „Reformation und Politik“, die das Verhältnis von Kirche und Politik beleuchtet, war die Kirchengemeinde Apen.

Einer der entscheidenden Tage der friedlichen Revolution war – so Heiko Lietz - der 9. Oktober 1989 in Leipzig, einen Monat vor der Maueröffnung. „In dieser Situation war es von unschätzbarer Bedeutung, dass die Kirchen ihre Türen für Friedensgebete öffneten, die Botschaft Jesu von der Gewaltfreiheit wieder ganz neu entdeckten und sich solidarisch mit denen verhielten, die bei gewaltlosen Demonstrationen massiv mit Gewalt bedroht und teilweise auch inhaftiert wurden.“

 

Als die Menschen damals nach den Friedensgebeten aus den Kirchen auf die Leipziger Straßen traten, seien sie selber überrascht gewesen. Die ganze Innenstadt hätte sich inzwischen mit Menschen gefüllt und alle zusammen formierten sich zu einem gewaltigen friedlichen Demonstrationszug von etwa 70.000 Menschen.

Nicht nur die 30.000 Handzettel, die kirchliche Mitarbeitende in der Nacht vor der Demonstration mit der Aufschrift „Keine Gewalt“ hergestellt hatten, sondern auch der plötzlich aus den Lautsprechern des Stadtfunks ertönende Aufruf von sechs Persönlichkeiten des öffentlichen DDR-Lebens - darunter des Dirigenten Kurt Masur und dreier SED-Funktionäre - der alle Beteiligten, auch die Sicherheitskräfte, zur Besonnenheit ermahnte, habe den Ablauf der Ereignisse wesentlich beeinflusst.

 

Heiko Lietz: „Diese nicht vorhersehbare Menge an Menschen und der Aufruf irritierten den dortigen Einsatzleiter der Polizei- und Armeekräfte dermaßen, dass er von dem ursprünglich empfangenen Befehl, diese Demonstration mit brutaler Gewalt im Keim zu ersticken, absah.“

Aber nicht alle Kirchengemeinden hätten die Menschen und Gruppen unterstützt, die friedliche Veränderungen im Staat herbeiführen wollten. „In den traditionellen Kirchgemeinden führte das oft zu großen Verunsicherungen, weil sie in der Regel mehrheitlich auf eine politische Konfrontation mit dem Staat aus ihrem kirchlichen Selbstverständnis überhaupt nicht vorbereitet waren. Gerade in lutherischen Landeskirchen gab es eine jahrhundertelange Tradition, aus der man der Obrigkeit gehorsam zu sein hatte.“ Heiko Lietz resümierte an dieser Stelle seines Vortrags: „Insofern war das reformatorische Erbe aus lutherischer Sicht für die Herausbildung der friedlichen Revolution in der DDR nicht gerade förderlich.“

Im Anschluss an den Vortrag wurde Heiko Lietz gefragt, ob er denn auch mit Stasi-Spitzeln zu tun gehabt habe. Mit einem Schmunzeln antwortete Lietz: „Rund 30 hat die SED gebraucht, um den DDR-Bürger Lietz durch sein Leben zu begleiten“. Sehr viel ernster erzählte er dann aber, dass ein Stasi-Mitarbeiter gezielt darauf angesetzt worden sei, Vorsitzender des Gemeindekirchenrates zu werden und es auch geworden sei. Er selbst hätte ihn – ohne zu wissen, mit wem er es in Wirklichkeit zu tun hatte – in das Amt eingeführt. Als er dann nach Anfang der 1990er Jahre plötzlich neben diesem Mann am Abendmahltisch gestanden hhabe, habe er doch kurz innehalten müssen. Aber sofort sei die Bereitschaft zur Versöhnung wieder da gewesen. Diese Bereitschaft „ist der Mehrwert der Christen“. Es gehe aber nicht um die billige Variante im Sinne von „Schwamm drüber“, sondern um die Aufarbeitung, um das Gespräch zwischen den Menschen und um das Erkennen von richtigem und falschem Handeln.

Auch nach der Rolle von Kirche in der Politik wurde gefragt. „Schon Jesus war hochpolitisch. Er hat durch sein Handeln und durch seine klare Rede in die ihn umgebende Gesellschaft hineingewirkt und sie verändert.“ Schon von daher gebe es – so Heiko Lietz – keine christliche Existenz jenseits des Politischen. „Wir wollen doch kein Leben hinter Kirchenmauern, sondern ein Leben mit christlichen Werten in die Gesellschaft hinein.“

 

Ein Beitrag von Peter Tobiassen, Leiter des Evangelischen Bildungswerks Ammerland.

 

Heiko Lietz referierte im voll besetzten Saal der Kirchengemeinde Apen über Ereignisse, die vor 25 Jahren Deutschland und Europa veränderten.
Über das rege Interesse freuten sich Kreispfarrer Lars Dede, Peter Tobiassen vom Evangelischen Bildungswerk Ammerland und der Referent Heiko Lietz.
Gemeindepfarrer Peter Kunst eröffnet die Veranstaltung. Fotos: Evangelisches Bildungswerk Ammerland