epd-Gespräch: Karen Miether
Celle (epd). Nach Ansicht der neuen niedersächsischen Gedenkstättenleiterin Elke Gryglewski können Zeitzeugengespräche mit Überlebenden der NS-Verbrechen für Jugendliche wichtige Erfahrungen bieten. «Die Zeitzeugen sind diejenigen, die vielen Jugendlichen einen emotionalen Zugang zum Thema ermöglichen», sagte die Politikwissenschaftlerin im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Gryglewski übernimmt zum Jahresbeginn die Leitung der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten. Zu der Stiftung gehört auch die Gedenkstätte Bergen-Belsen mit noch vergleichweise vielen Überlebenden des früheren Konzentrationslagers.
Gryglewski warnte allerdings davor, die Zeitzeugen in die Rolle von Geschichtslehrern zu drängen. «Manchmal kommen Lehrkräfte nach einem antisemitischen oder rassistischem Vorfall in einer Klasse auf die Idee, jetzt machen wir mal ein Zeitzeugengespräch.» Dies sei problematisch. «Ich glaube nicht, dass ein Zeitzeuge antisemitische Haltungen reparieren kann. Damit würde man diesem Menschen immens unrecht tun.» Die Überlebenden des NS-Terrors könnten mit ihren persönlichen Erfahrungen den Geschichtsunterricht oder den Besuch einer Gedenkstätte sinnvoll ergänzen. Aber sie könnten beides nicht ersetzen.
Um aus der Geschichte lernen zu können, sei es zudem wichtig, Opfer und Täter in den Blick zu nehmen, sagte die Politikwissenschaftlerin. Gryglewski war zuletzt kommissarische Leiterin im «Haus der Wannsee-Konferenz» in Berlin. An einem solchen Täterort stehe die Frage im Zentrum, wie aus sogenannten normalen Männern und Frauen Täter und Täterinnen werden konnten, erläuterte sie. «Eine Frage ist auch, welche Strukturen dazu beitrugen, dass eine Diktatur überhaupt etabliert werden konnte und viele das mitgetragen haben.»
Im Gegensatz dazu stehe an einem Ort wie Bergen-Belsen, an dem rund 20.000 Kriegsgefangene und mehr als 52.000 KZ-Häftlinge umkamen und ermordet wurden, zunächst das Leid der Opfer im Zentrum. «Es geht darum, wie sie, wenn sie überlebten, mit den Folgen des Erlittenen weiterleben konnten.» Geschichte sollte aus den verschiedenen Perspektiven heraus vermittelt werden, sagte sie. Zudem sollten Gedenkstätten auch mit Partnern wie Einrichtungen, die in der Bekämpfung von Vorurteilen oder der Demokratieförderung tätig sind, zusammenarbeiten.
Internet:www.stiftung-ng.de