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Jedes Jahr reisen tausende Jugendliche aus Deutschland über das Programm «weltwärts» ins Ausland. Doch das ist längst keine Einbahnstraße mehr. Wie Micaela Christ aus Paraguay engagieren sich auch Freiwillige aus südlichen Ländern in Deutschland.

 


Hannover (epd). Mit wippenden Pferdeschwänzen kommen Elin und Talia über den Spielplatz auf Micaela Christ zugelaufen. «Wir haben eine Feder gefunden», ruft Elin: «Die ist flauschig!» Talia ergänzt noch schnell: «Kuschelig!» Flauschig und kuschelig sind die nächsten deutschen Wörter, die «Mica», wie es kurz auf ihrem T-Shirt steht, sich merken will. Von den Kindern in der Tagesstätte der Marktkirchengemeinde in Hannover lernt sie jeden Tag dazu. Seit Februar arbeitet die 22-jährige aus Paraguay dort über das Programm «weltwärts».

 


Andrea Micaela Christ Amarilla, wie die junge Frau mit der runden Brille mit vollem Namen heißt, stammt aus Hohenau im Südosten Paraguays, einem 11.000 Einwohner-Ort, der von deutschen Auswanderern geprägt ist. Dort unterrichtete sie zuletzt Englisch und freundete sich an der Schule mit einer Freiwilligen aus Deutschland an. «Sie sprach nach sechs Monaten fließend Spanisch und vom Schulsystem bis zu unserem Humor hat sie uns immer besser verstanden», erzählt sie in einer Mischung aus Englisch und Deutsch. Schon mit 18 habe sie selbst vorgehabt, nach Deutschland zu gehen, nach der Begegnung nahm sie einen neuen Anlauf. «Das war inspirierend!»

 


Aktuell sind nach Angaben einer Sprecherin über den entwicklungspolitischen Freiwilligendienst «weltwärts» gut 1.800 Freiwillige im Alter von 18 bis 28 aus Deutschland in 53 Ländern im Einsatz, vor allem in Indien, Ecuador und Ghana. Aus den Ländern des globalen Südens engagieren sich zurzeit rund 660 Freiwillige in Deutschland, so wie Micaela Christ. Ihr Praktikum in Hannover wurde vom Evangelisch-lutherischen Missionswerk in Niedersachsen (ELM) vermittelt, gemeinsam mit Partnern aus der Evangelischen Kirche am Rio de la Plata in Paraguay (IERP).

 


Das ELM mit Kontakten zu Partnerkirchen in vielen Ländern gehört zu den rund 140 anerkannten Trägerorganisationen von «weltwärts», einem Programm des Bundesentwicklungsministeriums. Seit gut 40 Jahren sendet das Werk in Hermannsburg junge Menschen in Freiwilligendienste ins Ausland, berichtet Referentin Katharina Rausch - viel länger schon als es «weltwärts» gibt. Seit 2011 kommen Freiwillige aus den Partnerkirchen nach Deutschland. «Dahinter steht der Gedanke des gleichberechtigten Austausches», sagt Rausch. «Seitenwechsel» nennt das Missionswerk deshalb das Angebot. Neben der staatlichen Förderung über «weltwärts» unterstützt es dieses mit eigenen Mitteln.

 


Die Freiwilligen erhalten unter anderem Fortbildungen und ein monatliches Taschengeld. Micaela Christ hat in Hannover einen sehr kurzen Arbeitsweg, denn sie wohnt über dem Kindergarten. Für Kost und Logis kommt ihre Einsatzstelle auf. Nicht ohne Gegenleistung, wie Kita-Leiterin Heike Schmidt betont. «Immerhin haben wir eine Arbeitskraft mehr.» Vor dem Kita-Spielplatz in der Innenstadt werben Plakate um Nachwuchs angesichts des Fachkräftemangels. Doch Schmidt sieht noch ganz andere Vorteile. Immer wieder muss sie auf der Landkarte zeigen, wo Paraguay liegt. Die Neugierde der rund 60 Kinder, von denen etwa 20 selbst einen Migrationshintergrund haben, auf das Land und seine junge Botschafterin sei groß.

 


«Es war ein Abenteuer von Anfang an», so beschreibt Micaela Christ ihren Aufenthalt und lacht dabei. Ganz zuerst sei es schwer gewesen, sich in der Großstadt Hannover zurechtzufinden, auch weil ihr Handy noch keinen freigeschalteten Routenplaner hatte. «Es war überwältigend, überall Gebäude!» Doch ihre Kollegin Iris Dettmar, die für die Kita die Praktikanten aus dem Ausland betreut, stand ihr zur Seite, bei der Eröffnung eines Kontos oder Behördengängen. «Ich fühle mich sicher», sagt die 22-Jährige dankbar.

 


In den Kita-Ferien geht für sie das Abenteuer weiter. Sie ist mit anderen Freiwilligen in eine Rundreise gestartet, nach Prag, Wien und Bratislava soll es gehen. Und für die Zeit nach ihrem Freiwilligendienst haben sich ihre Pläne mittlerweile geändert. Eigentlich wollte sie in ihrer Heimat noch Mathematik studieren, neben dem Vollzeit-Job, der nötig sei, um das zu bezahlen. «Sehr stressig», sagt sie. Jetzt möchte sie zum Studium ein zweites Mal nach Deutschland kommen. «Ich hoffe auf ein Stipendium.»