Braunschweig/Frankfurt a. M. (epd). Die Soziologin und Politikwissenschaftlerin Tuuli-Marja Kleiner hat anlässlich des «Tages des Ehrenamts» am Montag darauf hingewiesen, dass sich junge Menschen auf dem Land in großer Zahl bürgerschaftlich engagieren. Entgegen dem von Vereinen oft beklagten Nachwuchsmangel sei ehrenamtlicher Einsatz beliebt und nehme sogar zu, sagte Kleiner im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). «Laut Freiwilligensurvey engagieren sich über 74 Prozent der 16- bis 25-Jährigen in Vereinen, Verbänden, Gewerkschaften und Kirchen - sie wollen Verantwortung übernehmen.»
Kleiner leitet zusammen mit einem Kollegen am Braunschweiger Thünen-Institut das vom Bundeslandwirtschaftsministerium geförderte Projekt «Jung im Verein und engagiert» (JIVE). Sie ist außerdem Privatdozentin an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Besonders ausgeprägt ist Kleiner zufolge das Engagement bei Heranwachsenden im Alter zwischen 16 und 21 Jahren. Familie, Schule und Ausbildung seien Faktoren, die bürgerschaftliches Engagement fördern und entsprechende Anreize setzen, sagte die Wissenschaftlerin.
Aber auch die Gruppe der 22- bis 25-Jährigen sei durchaus engagiert. Die Forschungsergebnisse stehen Kleiner zufolge im Widerspruch zu der «Untergangserzählung» von Vereinen über nachlassendes Engagement in ländlichen Räumen. «Dieses Narrativ scheint sich etwas verselbstständigt zu haben.»
Zwar könne sie zum jetzigen Zeitpunkt des Forschungsprojekts, das noch bis Frühjahr 2024 läuft, nicht gesichert sagen, wie dieser Widerspruch zustande kommt. «Aber ich vermute, dass es bei den Nachwuchssorgen der Vereine vor allem um Leitungsfunktionen geht.» Dort müsse zum einen besonders viel Zeit und Arbeit investiert werden, zum anderen habe das gesellschaftliche Prestige dieser Positionen abgenommen und daher deren Attraktivität geschmälert.
Hierarchischen Vereinsstrukturen stünde die junge Generation ohnehin skeptisch gegenüber. Das gelte ebenso für das typische «Hocharbeiten» in traditionellen Strukturen. Stattdessen legten junge Engagierte Wert auf eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. «Sie wollen gemeinsam etwas bewegen, sie wollen ernst genommen und anerkannt werden», sagte Kleiner.
Die Bereiche, in denen sich junge Menschen auf dem Land engagieren, seien ganz klassisch Sportvereine, gefolgt von Kultur und Musik, Feuerwehren, Unfall- und Rettungsdiensten, Schule und Kindergarten, Jugendarbeit sowie Religion und Kirche. Junge Menschen setzten aber auch neue Impulse - zum Beispiel mit Gruppen, die sich für queere Menschen einsetzen.
Das Engagement für neue, gesellschaftlich relevante Themen werde ihnen indes nicht immer leicht gemacht. Während Sport- und Schützenvereine in der Zusammenarbeit mit den Kommunen auf bewährte Kommunikationskanäle und etablierte Verwaltungsstrukturen bauen könnten, müssten diese Netzwerke bei neuen Themen erst aufgebaut werden. «Das sorgt auch für Frust.»
Grundsätzlich aber sei festzustellen, dass bürgerschaftliches Engagement bei der jungen Generation hoch im Kurs stehe, unterstrich Kleiner. Seien freiwillig engagierte Menschen vor gar nicht langer Zeit mitunter als «Gutmenschen» verhöhnt worden, so müssten sich junge Menschen heutzutage fast rechtfertigen, wenn sie sich nicht engagieren. Unterschiede gibt es Kleiner zufolge zwischen den verschiedenen Bildungsniveaus. Abiturienten und Studierende engagieren sich demnach besonders häufig.