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Hannover/Bremen (epd). Die Armut von Kindern und Jugendlichen bleibt einer neuen Erhebung zufolge ein ungelöstes Problem in Niedersachsen und Bremen sowie auch bundesweit. Mehr als zwei von fünf Kindern (41,1 Prozent) waren 2021 allein in Bremen von Armut bedroht, wie die Bertelsmann Stiftung in Gütersloh am Donnerstag mitteilte. In Niedersachsen lebte demnach mehr als jedes fünfte Kind (22,4 Prozent) in der Gefahr, in die Armut abzurutschen. Beide Länder liegen mit ihren zusammengerechnet rund 349.000 Betroffenen über dem Bundesschnitt. Deutschlandweit waren knapp 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche (20,8 Prozent) betroffen. Sozialverbände forderten rasche und zugleich grundlegende Abhilfe.

 

 

 

Zu den Minderjährigen kamen bundesweit 1,55 Millionen von Armut gefährdete junge Erwachsene im Alter von 18 bis 25 Jahren. Damit war in dieser Altersgruppe rund jede vierte Person (25,5 Prozent) bedroht. Niedersachsen und Bremen hatten dort ebenfalls überdurchschnittlich viele Betroffene zu verzeichnen, wobei Niedersachsen mit 25,9 Prozent (158.469 Betroffene) nur knapp oberhalb des Bundesdurchschnitts rangierte. Bremen stellte mit insgesamt 44,5 Prozent und damit 25.117 Betroffenen die bundesweit höchste Quote in dieser Altersgruppe.

 

 

 

«Wer als junger Mensch in Armut aufwächst, leidet täglich unter Mangel, Verzicht und Scham und hat zugleich deutlich schlechtere Zukunftsaussichten», sagte Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung. Das sei sowohl für die Betroffenen selbst als auch für die Gesellschaft als Ganzes untragbar. Die derzeitigen Krisen und Preissteigerungen verschärften das Problem. Daher müsse die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag vereinbarte Kindergrundsicherung «jetzt schnellstmöglich und im benötigten Umfang beschließen».

 

 

 

Überdurchschnittlich von Armut betroffen sind nach Angaben der Stiftung junge Menschen in alleinerziehenden Familien sowie in Familien mit drei und mehr Kindern. Das größte Armutsrisiko haben Kinder in Mehrkindfamilien mit einem alleinerziehenden Elternteil (86 Prozent). Die angekündigte Kindergrundsicherung müsse so gestaltet werden, dass sie Armut wirksam vermeide und sich an den tatsächlichen Bedarfen junger Menschen für gutes Aufwachsen, Bildung und Teilhabe orientiere, betonte Stein.

 

 

 

Zugleich sprach sich die Expertin gegen Regulierungen über das Kindergeld aus. «Eine Erhöhung des Kindergeldes ist teuer, vermeidet aber keine Armut, denn es kommt bei Familien im SGBII-Bezug nicht an.» Die Kindergrundsicherung müsse die Verteilung mit der Gießkanne beenden und durch gezielte Hilfen ersetzen. Um die Lage speziell der jungen Erwachsenen zu verbessern, seien eine Ausbildungsgarantie sowie eine BAföG-Reform unerlässlich. Beide Vorhaben seien ebenfalls im Koalitionsvertrag angekündigt.

 

 

 

Der Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen, Hans-Joachim Lenke, sagte, die Erkenntnisse aus der Bertelsmanns Studie und im zweiten Schritt die Erkenntnisse aus dem nächsten Familienbericht müssten genutzt werden, um zielgerichtete Programme zu entwickeln, die zu einer deutlichen Verbesserung der Lebenslage von Kindern in Ein-Elternfamilien führen. «Ein reiches Land wie Deutschland vergibt sich Zukunftschancen, wenn Kinder materiell unter den Folgen von Armut leiden und Bildungschancen immer noch vom Geldbeutel der Eltern abhängen.»

 

 

 

Für den SoVD sagte der Landesvorsitzende Bernhard Sackarendt, es sei beschämend, dass so viele Kinder und Jugendliche, in Armut abzurutschen drohten. «Sie werden damit systematisch bei Bildung und insgesamt bei der gesellschaftlichen Teilhabe ausgegrenzt.» Die Vorsitzende des Paritätischen Niedersachsen, Kerstin Tack, ergänzte, Kinderarmut sei kein Schicksal, sondern ein strukturelles Problem, das viel zu lange von der Politik ignoriert worden sei.

 

 

 

Svenja Kraus, Geschäftsführerin der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie, bemängelte, dass die staatlichen Unterstützungssysteme schlecht aufeinander abgestimmt seien. Junge Menschen brauchten die Sicherheit, dass der Staat zur Hilfe komme, wenn es in der Familie finanziell eng werde, unterstrich sie. «Ein vorsorgender Sozialstaat muss Armut vermeiden.» Betroffene erlebten Armut als Dauerzustand, der sie begrenze, stigmatisiere und beschäme. «Diese Erfahrung prägt sie ein Leben lang.»