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Hannover (epd). Sie hat sich vorgenommen, es nicht zu erzählen. Doch beim Kennenlerngespräch für die Mitarbeit in der Telefonseelsorge platzt es aus Heike Koop (Name geändert) heraus: «Mein Sohn hat sich das Leben genommen. Aber ich bin mir ganz sicher, dass ich das hier kann.» Die Mittfünfzigerin behält Recht. Nun, knapp zwei Jahre später, spricht sie regelmäßig mit Menschen, die suizidale Gedanken oder Absichten haben. Koop engagiert sich bei der Telefonseelsorge. Das Thema Suizidprävention gehört bei diesem Ehrenamt zum Alltag.

 

 

 

Heike Koop ist Mutter von zwei Söhnen, der eine ist Ende 20, der andere war 23, als er Suizid beging. Lucas (Name geändert) sei ein fröhliches Kind gewesen, «ein kleiner Charmeur», sagt Koop. Doch mit der Pubertät hätten seine depressiven Phasen begonnen, die Antriebslosigkeit. Bis nach dem Abitur wohnte Lucas im Elternhaus mit dem großen Garten in einer Kleinstadt in Niedersachsen. Zum Studieren zog er in eine andere Stadt. Wenn es gar nicht ging, habe er manchmal seine Mutter angerufen: «Mama, ich komme nicht aus dem Bett. Ich schaffe das einfach nicht.»

 

 

 

Während der Pandemie zog der Student zurück zu seiner Mutter und ihrem Partner. Koop half ihm beim Organisieren von Arztterminen, wandte sich an die Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Immer wieder sprach sie mit ihrem Sohn über seine psychische Erkrankung, redete ihm gut zu, so erzählt es Heike Koop im Rückblick. «Wahrscheinlich war er schon viel weiter von mir weg, als ich dachte», sagt sie heute. Nach seinem Suizid habe sie sich gefühlt, wie in Watte gepackt. Sie sei unendlich traurig gewesen, habe Schuldgefühle gehabt.

 

 

 

Psychotherapeut Benedikt Waldherr sagt, Hinterbliebene hätten häufig Schuldgefühle, wenn ein naher Angehöriger Suizid begeht. «Die Menschen denken darüber nach, was sie hätten anders machen können. Sich schuldig zu fühlen, scheint für viele einfacher zu sein, als die eigene Hilflosigkeit auszuhalten», erklärt der Vorsitzende des Bundesverbands der Vertragspsychotherapeuten.

 

 

 

Waldherr hält es für eine gute Idee, ins Handeln zu kommen und sich zum Beispiel ehrenamtlich zu engagieren - sobald man psychisch stabil genug dafür ist. «Wer anderen Menschen helfen möchte, sollte auch primär dieses im Auge haben. Die eigene Bedürftigkeit sollte nicht an erster Stelle stehen», sagt der Experte.

 

 

 

Koop macht eine Therapie. Kurze Zeit nach Lucas' Suizid erinnert sie sich daran, dass sie sich schon vor 15 Jahren gern bei der Telefonseelsorge engagiert hätte. Doch wegen Job und Kindern verwarf sie die Idee damals wieder. «Kann ich das in meiner Situation mental schaffen?», fragt sie ihre Therapeutin und ihren Hausarzt. Beide bestärken sie.

 

 

 

Also beginnt sie die Ausbildung zur ehrenamtlichen Telefonseelsorgerin. Sie lernt, sich selbst zurückzunehmen und nicht über andere zu urteilen. Genau hinzuhören und präzise nachzufragen. «Es ist wichtig, die Perspektive des Gegenübers einnehmen zu können», sagt Koop. Denn die Person am anderen Ende der Leitung kann einen ganz anderen Blick auf das Leben haben als sie selbst.

 

 

 

Schließlich ist es so weit: Koop nimmt das erste Mal den Hörer ab. «Dass jemand anruft, der mich an meinen Sohn erinnert, das war am Anfang meine größte Angst», erinnert sie sich. Gleich beim ersten Dienst redet sie mit einer Person, die suizidale Gedanken hat. Und sie merkt: «Was die Anrufenden sagen, beziehe ich gar nicht auf meine Situation. Ich bin dann komplett bei dem anderen Menschen.»

 

 

 

Vor dem Thema Suizidalität haben viele Ehrenamtliche am Anfang Angst, sagt Kerstin Häusler, Leiterin der Telefonseelsorge Hannover. Denn hier stelle sich ganz besonders die Frage nach der Verantwortung gegenüber den Anrufenden. «Die können unsere Mitarbeitenden nicht übernehmen. Aber sie können einen Raum für ein Gespräch öffnen, und das kann wahnsinnig entlastend sein.» Was sie beim Telefonieren erleben, besprechen die Ehrenamtlichen regelmäßig während Supervisionen mit Fachkräften.

 

 

 

In der Ausbildung beschäftigen sich die angehenden Seelsorgerinnen und Seelsorger theoretisch mit Suizidalität und üben den Umgang mit dem Thema in Rollenspielen. Außerdem besprechen sie ihre persönlichen Berührungspunkte mit Suiziden. Erst, wenn diese Seminare absolviert sind, führen die Ehrenamtlichen erste Gespräche unter Aufsicht. «Es ist wichtig, dass sie sich mit dem Thema sicher fühlen und keine Berührungsängste haben», sagt Häusler. Suizidgedanken sollten die Mitarbeitenden auch dann erkennen können, wenn sie als Metapher oder diffus geäußert werden.

 

 

 

Manche Anrufende redeten erst von einer Trennung oder über Stress auf der Arbeit, erzählt Seelsorgerin Koop. Fragt sie nach, ob es nicht noch ein anderes Thema gibt, sprechen einige dann doch über ihre suizidalen Gedanken. Neulich hatte Koop so eine Person am Telefon, die sich öffnete, wie sie erzählt. Am Ende des Gesprächs habe sich die Person gefasst genug gefühlt, um die eigene Mutter anzurufen. «Das war ein schönes Erlebnis für mich. Genau auf solch einen Ausgang arbeiten wir hin. Wir versuchen den Menschen einen Weg zu zeigen, wie sie das Leben als lebenswert wahrnehmen können.»