Bergen-Belsen (epd). Das Land Niedersachsen, jüdische Gemeinden und die Gedenkstätte Bergen-Belsen haben am Sonntag an die Befreiung des ehemaligen Kriegsgefangenen- und Konzentrationslagers bei Celle vor 78 Jahren erinnert. Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) betonte am Obelisken der Gedenkstätte die Bedeutung des Erinnerns: Es gehe um «Mahnung für die Gegenwart und Zukunft, damit wir immer im Blick behalten, wozu Antisemitismus, Rassismus und andere Ideologien der Ungleichwertigkeit führen können, wenn wir nicht rechtzeitig und entschieden eingreifen und gegenhalten», sagte sie laut Redemanuskript.
In Bergen-Belsen starben mehr als 52.000 KZ-Häftlinge und rund 20.000 Kriegsgefangene. Am 15. April 1945 befreiten britische Truppen das Lager. Unter den insgesamt rund 120.000 Häftlingen waren neben Juden unter anderem Sinti und Roma, politische Gefangene, Homosexuelle und Zeugen Jehovas, von denen viele auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiter diskriminiert und ausgegrenzt wurden.
Hamburg sagte, in den vergangenen Jahren sei in der sogenannten Querdenkerszene ein Gedankengut entstanden, das in weiten Teilen nahtlos an rechtsextreme Ideen und Muster anknüpfe. Es reiche mit Vorurteilen und Einstellungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bis weit in die Mitte der Gesellschaft. Die jüngsten Razzien im Milieu der sogenannten Reichsbürger verdeutlichten, dass es sich nicht einfach um Akteure am Rande der Gesellschaft handele. Darum müsse neben dem gemeinsamen Gedenken auch die Folgen der begangenen Verbrechen und des Nationalsozialismus bedacht werden.
Der Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung, Mehmet Daimagüler, unterstrich bei der Gedenkveranstaltung: «Wenn den ermordeten Sinti und Roma gedacht wird, ist oft ein Stück Verlogenheit im Spiel. Da werden die Toten geachtet und am nächsten Tag die Lebenden verachtet.» Er forderte zu einem «echten Gedenken» auf, zu dem es gehöre, gegen Ausgrenzung und Verfolgung von Roma in aller Welt einzutreten. «Gedenken ohne Konsequenzen für unser Handeln im Hier und Heute ist bloß Ritual.»
Landtagsvizepräsidentin Sabine Tippelt (SPD) betonte auf dem Kriegsgefangenenfriedhof Hörsten, es sei wichtig, neben der Inhaftierten des KZ Bergen-Belsen auch der sowjetischen Kriegsgefangenen zu gedenken. «Mit 19.580 Toten liegen an keinem anderen Ort in Deutschland mehr von ihnen begraben», sagte sie laut Manuskript. Zugleich lenkte sie den Blick auf den Krieg in der Ukraine, in dem Menschen umgekommen seien, die die Konzentrationslager der Deutschen überlebt hatten. «Das kollektive Gedächtnis unserer Gesellschaft mahnt uns, angesichts des Sterbens in der Ukraine nicht gleichgültig zu bleiben.»
Der Präsident des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen, Michael Fürst, hielt gemeinsam mit seiner Tochter Nicola Fürst-Schuhmacher und seinem Enkel Lenny Schuhmacher eine Rede.