Hannover (epd). Der Biochemiker Alexander Wirth plädiert dafür, den Biorhythmus des Menschen im gesellschaftlichen Leben stärker zu berücksichtigen. «Biologische Rhythmen spielen für uns alle eine bedeutende Rolle im Alltag, ständig gegen die innere Uhr zu leben, kann krank machen», sagte Wirth dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zwar sei der Mensch zäh und es dauere Jahrzehnte, bis sich Störungen bemerkbar machten, «aber irgendwann rächt es sich, gegen den eigenen Rhythmus zu leben.» Wirth hat unter anderem am Institut für Zelluläre Neurophysiologie der Medizinischen Hochschule (MHH) geforscht.
Der stärkste Taktgeber für den Biorhythmus ist Wirth zufolge das Licht. Im Laufe von Millionen von Jahren hätten sich Lebensrhythmen in der Natur, von Pflanzen und Tieren, an den Lauf des Lichts angepasst und die Menschen zu tagaktiven Säugetieren gemacht. In der modernen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts gerate dieser Rhythmus aber zunehmend aus der Bahn. Die Folge sei bei vielen Menschen ein Schlafdefizit.
«Wir sind abends zu lange wach und werden morgens zu früh von unserem Wecker geweckt», sagte Wirth. Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang vom «Social Jetlag», einem Zustand, bei dem innere Uhr und das Leben, geprägt durch berufliche, familiäre, soziale Zwänge, in starkem Widerspruch zueinander stehen. «Die heftigste Form, gegen den zirkadianen Biorhythmus zu leben, ist die Nachtschicht», sagte Wirth. Folge des Social Jetlags könnten Krankheiten wie Adipositas, Depressionen, Bluthochdruck, Diabetes und Krebs sein.
Forschungen zeigten, dass auch alle Organe eigene Uhren haben. So sei der Körper etwa abends nicht auf Verdauung eingestellt. «Viele Menschen essen zu spät.» Grundsätzlich könne man sagen, dass der Mensch morgens leistungsfähig ist, mittags eine Pause braucht und nachmittags ein wenig Sport machen sollte, bevor er sich am Abend zur Ruhe legt. Der Nachmittag ist Wirth zufolge auch eine gute Zeit für den Zahnarzt. «Denn morgens sowie abends und nachts sind wir besonders schmerzempfindlich.»
Prinzipiell ließen sich Menschen in zwei Chronotypen aufteilen, Frühaufsteher (Lerchen) und Nachtmenschen (Eulen) - mit vielen Abstufungen dazwischen. Im Laufe eines Lebens ändere sich der Chronotyp. So seien kleine Kinder Frühaufsteher, in der Pubertät würden Teenager meist zu Eulen. Einen Schulbeginn um acht Uhr sieht Wirth deshalb kritisch. «Wenn es nicht anders geht, sollte in die erste Stunde zumindest ein leichtes Fach gelegt werden - am besten Sport draußen bei Tageslicht: Das macht wach.»
Menschen, die sich für ihren individuellen Biorhythmus interessieren, empfiehlt Wirth im Urlaub abends auf künstliches Licht, Handy, Fernsehen, Computer, zu verzichten und ins Bett zu gehen, sobald die Müdigkeit kommt. Am Morgen dann sollten sie aufstehen, wenn sie - ohne Wecker - von sich aus wach werden. «Wer das ein paar Tage oder Wochen macht, wird feststellen, dass er zu fast identischen Zeiten müde und munter wird.»